Granitbeisser 2013 (St.Georgen – 7.September 2013)

In St.Georgen war es wieder soweit, das dritte Mal in diesem Jahr knüpfte ich eine Startnummer an mein Rad. Allerdings sind die Veranstalter im Waldviertel überaus gemein: Es ist eines der letzten Rennen weltweit gesehen, bei dem man sich eine Rückennummer ans Trikot heften muss. Nachdem ich in der Schule beinahe schon vom Handarbeitsunterricht befreit worden wäre aufgrund höchster Gefährdung meiner selbst und auch meiner Umwelt, musste ich hier beim Hantieren mit Sicherheitsnadeln bereits fest bluten. Und das ganz ohne Dopingkontrolle (Mit meinen Leistungen bin ich sowieso dopingtestunwürdig).

Der Tag war sonnig und heiß, von der Strecke wußte ich bereits, dass sie fahrtechnisch interessant, sogar ein wenig fordernd ist. Die Startphase ist hier entscheidend! Denn nach den ersten paar asphaltierten Metern bergauf mündet die Strecke in eine staubige, wurzelige und kurvige schmale Abfahrt, in der das Überholen kaum mehr möglich ist. Wie lustig es hier ist, wenn man hinter schwächeren Abfahrern rollt, kann euch sicher Don Sumo erzählen, falls er sich noch an das Jahr 2011 erinnern kann. Da erkannte er erst kurz vor dem Start, dass sein Zeitmessungschip noch im Auto lag und konnte daher erst mit dem Startschuß das Ende des Startkorridors entern und seine Konkurrenten beglücken. So war dann in dieser ersten Abfahrt ein demütiger Kolonnenverkehr für ihn angesagt.

Mit diesem taktischen Insiderwissen legte ich besonderes Augenmerk auf das Aufwärmen und widmete ebendiesem umfangreiche 10 Minuten.

Dieses extensive Warm-Up  reichte, um in der Startphase bereits in die dünne Spitze der österreichischen Elite vorzustossen, und enterte die Abfahrt im Bereich der ersten 30. Das erste Mal in meiner Granitbeisser-Karriere konnte ich ungebremst und zügig ins Tal rumpeln und auch die darauf folgende kurze Flachpassage verbrachte ich in einer kuscheligen windarmen Gruppe. Der schnellste PSV-Fahrer lag knapp vor mir und der Rest der mir noch bekannten alten Herren bereits hinter mir.

Unendlich euphorisch wuchtete ich mich in den längsten Anstieg des Tages und konnte mich noch weiter vorarbeiten. Nur dieser boshafte Anstieg wurde immer steiler und mein Tritt wurde rasch immer schwerer. Mein Keuchen war inzwischen unüberhörbar und jede Menge Schweiß tropfte aus meinem Helm. Irgendwie hielt ich mich über den Gipfel hinweg in meiner Gruppe, die Euphorie war inzwischen geschwunden. Schmerzen machten sich breit. Immerhin folgte jetzt eine längere Asphaltpassage, in der ich hoffte, meinen Körper und mein Gesicht wieder ein wenig in den Griff zu bekommen. Immer wieder rasten mutige Einzelkämpfer an mir vorbei nach vorne. Ich ließ sie aber ziehen eingedenk der grausamen Krämpfe, die mich bei den letzten Malen auf dieser Strecke gegen Schluß hin marterten.

Als mich dann eine kleine Gruppe einholte, biss ich mich in deren Windschatten fest und konnte bis zur nächsten Abfahrt bei ihnen mitturnen. Dort zeigten mir aber diese drei Herren, was zügig bergabfahren bedeutet. Schon lange nicht mehr musste ich mich in einem Radrennen bergab abhängen lassen. Spätestens jetzt war mir bewußt, dass ich mich einfach über meinen Verhältnissen bewegte. Die Schmerzen des langen Berges waren dem Tempo geschuldet, das ich schon viele Jahre eigentlich nicht mehr fahren konnte. Und in dieser Liga wird halt leider auch bergab ein wenig flotter gefahren.

Diese Niederlage traf mich allerdings nicht zu sehr, denn nun folgte der Königsanstieg des Tages: Eine schier endlose steile Schotterrampe zog in den Himmel, gnadenlos waren Rettungsanker (Kette links!) und alle meine Fahrkünste gefordert. Derart beschäftigt fing ich mich wieder und fand ein paar nette Begleiter, mit denen ich die folgenden Auf-und Abpassagen durchlebte. In einem dieser Schupfer stand auf einmal etwas unmotiviert mein Kollege Martin Gruber auf der Seite und pumpte lustlos an seinem Vorderrad herum. Er lecuhtete bereits lange aus der Gruppe vor mir heraus, ich war aber doch überrascht, dass ich ihn nun so plötzlich überholen konnte. Er verweigerte auch jegliche Hilfe von mir, das war scheinbar der Schmach zu viel.

So konnte ich bei unserer Topbetreuerin Edith als erster der PSV-Fahrer vorbeihecheln, sie war ein wenig überrascht und musste erst einmal nach dem für breite Masse adäquaten Proviant suchen, Schnitzelsemmel und ähnliches. So viel Zeit gönnte ich mir nicht, um zur Halbzeit des Rennens ausgiebig zu Jausnen, daher fuhr ich gewichtsoptimal in meiner Gruppe weiter. Denn jetzt hieß es, den Platz an der Sonne des PSV nicht kampflos zu verschenken. Ich strampelte zügig weiter. Kurzen Rampen folgten technische Abfahrten, zwischendurch gab es auch wieder mal schnelle Schotterpassagen und unversehens hatten wir eine Gruppe vor uns eingesammelt.

Doch da passierte es. In einem Anstieg nach so einer Hochgeschwindigkeitsabfahrt begann auf einmal mein Vorderrad zu zischen. So ein Aufbegehren konnte ich natürlich nicht dulden, auch wenn Hitze und zahllose steile Anstiege schön langsam an meiner Moral zehrten. Daher stellte ich meinem Vorderrad natürlich die Sinnfrage: „Bist du noch ganz dicht!“ Mein Vorderrad ließ sich bei einer derart emotionalen Diskussion zu keiner spontanen Antwort hinreissen, es folgte eher so etwas wie: „Im Moment grad nicht, aber das kann ja noch werden“.

Ich schob nun fluchend eine Rampe hinauf, drückte immer wieder in den Vorderreifen, er hatte noch brav Luft, zischte aber immer noch. Da wurde es mir zu bunt. Ich schwang mich wieder auf meinen Hobel und ließ es die nächste Abfahrt runter ziemlich krachen, um ihm den Rest zu geben. Doch da war es wieder ruhig, Latexmilch sei dank. Das war eigentlich nicht so selbstverständlich, denn diese Milch, die laut Hersteller so ca. 3 Monate brauchbar ist, lebte in meinem Vorderreifen bereits entspannte 17 Monate.

Nach dieser kleinen Materialdiskussion standen nur mehr knapp 7 Kilometer auf dem Fahrplan. Bei jedem anderen Marathon kann man sich zu diesem Zeitpunkt bereits entspannt das Trikot richten und den Schweiß aus dem Gesicht wischen, um für diverse Autogrammfotos bei der Zieleinfahrt sponsorengerecht lächeln zu können. Aber nicht so im Waldviertel, da warten auf diesen 7 Kilometern noch ebensoviele Brutalorampen, die jedes Mal den Fahrer an seine Grenzen bringen. Die Frage ist immer nur, warum der Fahrer vom Rad fällt: Entweder aufgrund von Krämpfen oder mangelnder Fahrtechnik. Irgendwie überlebte ich auch diese Herausforderung noch, auch wenn mich inzwischen ein Haufen Mitstreiter mit unhöflichen Schlussattacken überholten.

Als ich im letzten Stieg wieder zu zwei derart Unhöflichen aufgeschlossen hatte, wollte ich mich mit ihnen versöhnlich noch ein wenig unterhalten, da wir das Leiden doch endlich hinter uns hatten. Nur die wollten nicht, die hatten noch immer das Messer zwischen den Zähnen und brachten kein Wort heraus. Da war ich auf einmal doch noch motiviert und wuchtete mich etwas flotter als eben diese über die letzten paar hundert Meter.

Im Ziel machte sich ein wenig Enttäuschnung breit in mir, weil ich die zweite Hälfte des Rennens doch recht unmotiviert Zeit liegen gelassen hatte aufgrund meiner unendlichen Wehleidigkeit und Angst vor Krämpfen. Aber immerhin war ich das erste Mal seit Jahrzehnten wieder der schnellste Fahrer des Vereins. Jetzt soll aber keiner sagen, dass das nur aufgrund von Defekten und Seuchen so war…

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